Würdigung von Dr. Irene Crusius (1932–2021)

Irene Crusius wurde nach ihrem Studium der Geschichte, Evangelischen Theologie und Anglistik 1962 bei Hermann Heimpel an der Universität Göttingen im Fach Geschichte mit einer Arbeit zum religiösen Genossenschaftswesen im späten Mittelalter promoviert. Seit 1964 war sie als hauptamtliche Mitarbeiterin der Germania Sacra am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen beschäftigt und leitete das Unternehmen 17 Jahre von 1980 bis 1997. Sie hat in diesen Jahren dem Forschungsvorhaben wesentliche neue Impulse gegeben: Sie hat die vorher sträflich vernachlässigten weltlichen Kollegiatstifte ins Zentrum der Arbeit gerückt; sie hat als eine der ersten Forscherinnen in der damals klar männerdominierten Wissenschaftslandschaft die Bedeutung der Kanonissenstifte für Kirche und Adelsgesellschaft des Mittelalters erkannt und beschrieben. Ihr Herzblut hing aber vor allem an der Erforschung der Prämonstratenserstifte. Hier hat sie wichtige Publikationen und eine Vielzahl von Untersuchungen initiiert und sich damit zeitlose Verdienste erworben. Am 25. Oktober 2021, und damit im Jubiläumsjahr „ihres“ Prämonstratenser-Ordens, der vor 900 Jahren gegründet wurde, ist Irene Crusius gestorben.

Nach der Schließung des Max-Planck-Instituts für Geschichte im Jahr 2007 hat die Germania Sacra an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen eine neue Heimat gefunden – allerdings mit einem neuen inhaltlichen Zuschnitt. Die jetzige Konzentration des Vorhabens auf die Erforschung der Diözesen und Domstifte des Alten Reiches, die sich aus einer veränderten Forschungslandschaft und veränderten Förderbedingungen ergab, war in mancher Hinsicht nicht im Sinne von Irene Crusius. Dennoch hat sie die Germania Sacra auch nach 2007 loyal unterstützt: Sie stand der Redaktion der Germania Sacra jederzeit bei allen Problemen und Fragen als freundliche Gesprächspartnerin zur Verfügung und war – solange es ihr gesundheitlich möglich war – willkommene Teilnehmerin auf den jährlichen Colloquien der Germania Sacra – zuletzt im Jahr 2018. Wir sind dankbar, dass wir bis 2018 noch etliche der von ihr initiierten Untersuchungen zum Druck bringen konnten. Insbesondere das Erscheinen der Prämonstratenser-Bände von Wilfried Schöntag zum Stift Marchtal, von Jürgen Rainer Wolf zum Stift Ilbenstadt und von Ingrid Joester zum Stift Steinfeld war ihr Freude und Genugtuung.

Auf die Nachricht vom Tod von Irene Crusius hin haben uns viele aktive und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Germania Sacra angeschrieben, um ihre Erinnerungen an die Verstorbene mit uns zu teilen. Diese Reaktionen zeigen vor allem, dass es Irene Crusius nicht nur aufgrund ihrer fachlichen Qualitäten, sondern auch durch ihre eindrucksvolle Persönlichkeit gelungen war, ein großes Netzwerk von Archivarinnen und Archivaren sowie Historikerinnen und Historikern zur Mitarbeit zu aktivieren und langfristig an die Germania Sacra zu binden. Unvergessen bleibt, dass sie es schaffte, zu Forschern in der DDR wie dem Weimarer Archivar Heinz Wießner dauerhaft Kontakt zu halten. Die von Wießner erarbeiteten Bände zur Diözese Naumburg wurden 1997 publiziert. Im Vorwort des Bandes beschreibt Irene Crusius anschaulich, welchen Aufwand sie betrieben hat, um den Kollegen im Osten unauffällig mit West-Literatur zu versorgen – man traf sich zum Arbeitspicknick immer unter derselben Buche im Thüringer Wald.

Wir sind dankbar für die Verdienste, die sich Irene Crusius um die Erforschung der Kirche des Alten Reiches erworben hat. Die Germania Sacra wird immer auch mit ihrem Namen verbunden bleiben.

Projektleitung und Redaktion der Germania Sacra


Die Trauerfeier fand am 5. November 2021 in der Kapelle des Friedhofs Hannover-Engesohde statt.